Das literarische Textverstehen stellt eine wesentliche Kompetenz dar, die es den Leserinnen und Lesern auf Grundlage einer Textuntersuchung ermöglicht, neue Sichtweisen von Wirklichkeit zu entwickeln und für sich zu nutzen. Der Prozess des Verstehens ist allerdings sehr komplex und stellt Schülerinnen und Schüler häufig vor große Herausforderungen.
Die voraussichtlich im Dezember 2021 erscheinende Dissertationsschrift von Stefanie Heese untersucht, ob und inwiefern künstlerische Bilder eine Hilfe auf dem Weg zum literarischen Textverstehen sein können. Die künstlerischen Bilder sind deshalb von besonderem Interesse für das literarische Lernen, weil sie durch ihre Offenheit zahlreiche Anstöße zum Nachdenken und Deuten bieten, was sich in Verbindung mit literarischen Texten als fruchtbar erweisen kann.
Der Einsatz von künstlerischen Bildern im Literaturunterricht ist bekannt und wird auch vielfach genutzt. Bisher wurden jedoch künstlerische Bilder häufig nur aufgrund ihrer affektiven und motivationalen Funktion in Verbindung mit literarischen Texten verwendet. Der kognitiv unterstützende Einsatz dieser Art von Bildern auf dem Weg zum literarischen Textverstehen findet hingegen noch so gut wie nicht statt.
Die Dissertation von Stefanie Heese setzt an diesem Forschungsdesiderat an. In der Arbeit werden die fachwissenschaftlichen sowie die fachdidaktischen Grundlagen zur Thematik und die bisherige Forschung zur Verbindung von literarischem Text und künstlerischem Bild beim Textverstehen dargestellt. Darauf aufbauend werden spezielle Aufgabensettings entwickelt und in einer eigenen Untersuchung mit quasi-experimentellem Design in der Klassenstufe 10 an 16 sächsischen Gymnasien erprobt.
Der forschungsmethodische Zugang besteht im Kern aus der Evaluation von Deutungshypothesen, die von Schülerinnen und Schülern auf der Grundlage eines literarischen Textes und einem gezielt ausgewählten künstlerischen Bild oder mehrerer gezielt ausgewählter künstlerischer Bilder verfasst worden sind. Dazu wurde überprüft, welcher Zusammenhang zwischen der Hinzunahme eines Bildes oder mehrerer Bilder der genannten Kategorie und der Qualität der entstandenen Deutungshypothesen besteht. Ausgangspunkt für die Auswahl der künstlerischen Werke (u. a. von Künstlern und Künstlerinnen wie Tim Eitel, Uwe Pfeifer, Aris Kalaizis, Sarah Lucas und Kiki Smith) bildeten die Kurzgeschichten „Nacht“ (2001) von Sibylle Berg und „Flug durch Zürich“ (2002) von Thomas Hürlimann.
Mit der vorliegenden Studie werden empirische Hinweise darauf erbracht, dass der Einsatz von künstlerischen Bildern beim literarischen Textverstehensprozess vermutlich auf der kognitiven Ebene gewinnbringend ist. Obschon weitere empirische Forschungen auf dem Gebiet der Text-Bild-Forschung im Hinblick auf Textverstehensförderung nötig sind, geben die Erkenntnisse der Untersuchung eine richtungsweisende Grundlage und sprechen für verändernde Maßnahmen in der Nutzung von künstlerischen Bildern für den Literaturunterricht. Diese Veränderungen sollen sich vor allem auf eine Einbindung von gezielt ausgewählten künstlerischen Bildern in den Textverstehensprozess richten.