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Zum Wintersemester verabschieden wir uns von Professorin Dr. Kathrin Klausmeier. Die Geschichtsdidaktikerin verlässt nach erfolgreichen Jahren unsere Hochschule gen Göttingen. Wir haben sie für ein Interview gewinnen können, das auf ihre Zeit an der Universität Leipzig zurück und die Herausforderungen für die Lehrkräftebildung voraus blickt. Wir danken ihr herzlich für ihre Bereitschaft zum Gespräch und ihren wertvollen Beitrag in der Lehramtsausbildung an der Universität Leipzig.

Welche Aspekte der Lehrkräftebildung finden Sie an der Universität Leipzig bemerkenswert? Welche Stärken hat diese an unserer Hochschule? 

Was aus meiner Sicht in Leipzig wirklich gut funktioniert, ist die Verbindung zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik, die zumindest im Fach Geschichte in einem engen Austausch sind. Das ist wichtig, weil ein Großteil unserer Studierenden das Lehramt anstrebt und wir in der fachwissenschaftlichen Ausbildung die spezifischen Bedarfe des Lehramts entsprechend berücksichtigen können.

Zudem habe ich es immer als sehr konstruktiv empfunden, dass es eine enge Verzahnung der einzelnen Didaktiken miteinander gibt und man sich über die Fachdidaktiken hinweg über Qualitätsstandards austauscht. In diesem Kontext sind dann auch gemeinsame Forschungsprojekte wie PraxisdigitaliS entstanden, in dem Digitalisierungsprozesse im Kontext Schule erforscht und fachlich unterstützt werden. Gerade im Bereich Digitalisierung in der Lehrkräftebildung ist Leipzig auch wirklich ganz exzellent. Durch die Vorlesung von den Kolleg:innen Prof. Hofmann und Prof. Ganguin werden die Studierenden für die Problemfelder von Digitalisierung im Kontext Schulleben sensibilisiert und darauf vorbereitet, wie man bestimmte Probleme lösen kann. Gerade beim Thema Digitalisierung merkt man, dass die Studierenden enorm von den Bildungswissenschaften profitieren und sich das fachspezifisch wirklich gut weiterentwickeln lässt.

Welche Herausforderungen und Potenziale sehen Sie dagegen noch?

Das hat weniger mit der Uni Leipzig im Speziellen zu tun, sondern beschreibt eher ein generelles Problem. Wir stehen vor sehr großen Herausforderungen, gerade im Kontext Schule. Das sind systemische, aber eben auch historisch-politische Herausforderungen. Wir müssen (angehende) Lehrkräfte ermutigen, schwierige und kontroverse Themen viel mehr im Unterricht aufzugreifen, um am Beispiel von Geschichte den Umgang mit unterschiedlichen Positionen zu üben. Wir sollten sie bestärken, den Raum für Kontroversität zu öffnen und sich zu fragen: Wie gehe ich eigentlich damit um, wenn es verschiedene Positionen im Raum gibt? Wie kann ich unterschiedliche Positionen überprüfen? Wir müssen verstehen, dass Demokratie etwas mit aushandeln zu tun hat und dass Lehrer:innen und Schüler:innen genau diesen ggf. konflikthaften Aushandlungsprozess aushalten müssen und das eigentlich ein hohes Gut demokratischer Kulturen ist. Wir sehen das nicht nur in Deutschland. Es gibt auch Studien, die zum Beispiel für Großbritannien sehr deutlich nachzeichnen, dass Lehrkräfte diese Kontroversität oft scheuen. Aber gerade das muss eigentlich getan werden, wenn man Demokratiebildung stärken möchte. Dort möchte ich auch mein Fach verorten und mit Geschichte als Deutungsfach einen wichtigen Beitrag leisten. Nicht alle Deutungen sind entsprechend plausibel, das muss man natürlich entsprechend überprüfen. Aber am Beispiel von Geschichte lässt sich der Umgang mit kontroversen Themen lernen und Demokratie letztlich auch stärken. Das bedeutet auch, falsche Deutungen und FakeNews als solche zu erkennen. 

Welche Aufgaben für das Fach Geschichte in Sachsen würden Sie Ihren Nachfolger:innen ins Hausaufgabenheft schreiben?

Ganz wichtig ist es, mit den Lehrkräften, Fachberater:innen und schulpolitischen Entscheidungsträger:innen in Kontakt zu kommen. Letztlich haben wir alle das gleiche Ziel: Wir wollen Geschichtsunterricht und historische Bildung verbessern, haben aber oft andere Vorstellungen zum Weg dahin. Darüber muss man ins Gespräch kommen, wenn wir als Wissenschaft wirksam sein wollen. Den Kontakt zu suchen, herzustellen und nachzuhören, welchen Beratungs- und Fortbildungsbedarf es bei Lehrkräften gibt, ist eine zentrale Aufgabe als Universität. Wir haben eine ganz wichtige Verantwortung gegenüber dem Geschichtsunterricht und den Lehrkräften, die man auch entsprechend wahrnehmen muss. 

In den letzten Monaten haben uns die Lehrkräfte in Sachsen nicht nur danach gefragt, wie sie kompetenzorientiert unterrichten können, sondern vor allem danach, wie sie mit diesen gesellschaftlichen Herausforderungen im Unterricht umgehen sollen. Uns wurde von den Lehrkräften signalisiert, dass sie z. B. aus Angst vor der Reaktion der Eltern bestimmte Themen und Diskussionsräume gar nicht anreißen. Da sollten wir als Wissenschaft gut hinhören und Unterstützung anbieten.

Sie waren maßgeblich an dem Projekt saXchange beteiligt, in dem sich Jugendliche aus Leipzig und Plauen gemeinsam mit Lehramtsstudierenden und Zeitzeugen mit dem Thema Freiheit auseinandergesetzt haben. Welche Chancen sehen Sie in der Zusammenarbeit zwischen Schüler:innen, Studierenden, Zeitzeugen, Wissenschaftler:innen und weiteren Akteuren? Und wie beeinflussen solche Kooperationen Ihre eigene Lehre und Forschung?

Das war ein tolles Projekt, bei dem wir uns ganz bewusst dafür entschieden haben, mit nicht-gymnasialen Schulformen zu arbeiten. Die Kooperation mit zwei Oberschulen aus Plauen und Leipzig war für alle Beteiligten ein großer Gewinn.

Die Studierenden lernen, was es heißt, ein Projekt im Geschichtsunterricht durchzuführen. Alle fordern projektbasiertes Lernen, doch die Studierenden wissen aus der ersten Phase oft gar nicht, vor welchen Herausforderungen sie im Kontext Schule stehen: Wie kann ich so ein Projekt organisieren? Wie kann ich das fachspezifisch planen, auswerten und evaluieren? Indem sie von Anfang an in diesem Prozess beteiligt sind und das Projekt auch mit entwickeln, lernen sie sehr viel für die Praxis. 
Für die Schüler:innen ist es eine wichtige und oft eine neue Erfahrung, weil sie in der Regel nie mit Wissenschaft direkt in Berührung kommen. Wissenschaftskommunikation bedeutet dann ganz basal erstmal, dass sie mit einer Professorin ins Gespräch kommen und dass man sich die Zeit nimmt, sie nach ihren Gedanken zu befragen. Gemeinsam mit meinen Mitarbeiter:innen wie Sophia König, die viel Zeit und kluge Gedanken in dieses Projekt investiert hat, arbeiten wir daran, Wissenschaft zunächst erfahrbar zu machen. Wenn wir Wissenschaftsskepsis abbauen wollen, ist es wichtig zu zeigen, wie man arbeitet und zu Ergebnissen kommt und auch, was Wissenschaft von bloßen Meinungen unterscheidet. Wir wollen zeigen, dass Wissenschaft nicht unbedingt etwas ist, was in einem Elfenbeinturm passiert, sondern direkt mit den Jugendlichen zu tun hat. Das ist eine Form von Wertschätzung, die wir den jungen Menschen gegenüber entgegenbringen müssen.

Gleichzeitig ist die Zusammenarbeit mit den Zeitzeug:innen gerade in Leipzig toll, weil sie überall präsent sind. Das ist ein Teil unserer Stadtgesellschaft und sie erzählen jeweils ihre eigene Geschichte und die kann sehr unterschiedlich sein. Und das war gerade bei diesem Projekt ganz wichtig, weil wir mit den Erinnerungen, mit denen die Jugendlichen konfrontiert werden, zu einer Pluralisierung der Erinnerungen an „89“ beitragen wollen. Und weil sie lernen müssen, dass Geschichte mit Deutungen sowie subjektiven Perspektiven zu tun hat und wie sie diese ein Stück weit prüfen können. 

Im Juli wurde von der SWK eine Stellungnahme zur Demokratiebildung veröffentlicht, in der die Stärkung der Fächer Politik und Geschichte empfohlen wird. Welche Impulse erwarten Sie diesbezüglich im Nachgang?

Erstmal begrüße ich sehr, dass man die Relevanz des Faches wieder stärker betont, nachdem es u. a. bei den Stundentafeln gekürzt wurde und wir Jahrzehnte verdeutlichen mussten, warum das Fach Geschichte wichtig ist. Ich erhoffe mir daraus, dass der Stellenwert des Fachs sich auch in der Förderung der universitären Ausbildung und der schulischen Bildung niederschlägt. Meine Hoffnung ist, dass die Bearbeitung von Fördergeldern für Projekte an Schulen und Transferprojekte an Universitäten weniger bürokratisch gestaltet ist. Diese Bürokratie lähmt oft gerade auch den Transfer, der nicht nur aus der Perspektive des Lehrkräftemangels so wichtig ist. Wir und auch die außerschulischen Lernorte können viel bieten, um das System Schule auch ein Stück weit zu entlasten. Dafür braucht es gute und meines Erachtens vereinfachte Kooperationsstrukturen, mehr finanzielle Ressourcen und weniger Bürokratie für die Projektverwaltung.

Bleiben Sie der Uni Leipzig in einer Weise verbunden? 

Ich bin mit Leipzig sehr verbunden, weil ich einfach sehr gerne in Leipzig war und immer noch mit den Kolleginnen und Kollegen und mit meinem Team in einem sehr guten Kontakt stehe. Ich bin noch in Gremien und in außerschulischen Bereichen der Geschichtsvermittlung aktiv. Zum Beispiel in der Stiftung Friedliche Revolution, mit der ich sehr eng zusammenarbeite. Auch viele persönliche Kontakte zum Zeitgeschichtlichen Forum lassen mich in Zukunft immer wieder gern nach Leipzig kommen. Die Stadt bietet ja eine so interessante geschichtskulturelle Landschaft! 

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute Ihnen in Göttingen.